Architekturfotografie auf Film
Der Wunsch, zu dokumentieren
Schon als Kind fühlte ich mich zu älterer Industriearchitektur hingezogen: Die ausgedehnten, mitunter düsteren Backsteinhallen, hoch aufragende Schornsteine, der strenge Geruch chemischer Substanzen – das faszinierte mich und ja, es gruselte mich auch. Ich stamme aus Hannover; hier gibt bzw. gab es zum einen große Betriebe aus der Schwerindustrie und dem Fahrzeugbau (Hanomag, Volkswagen Nutzfahrzeuge), zum anderen eine vitale Kautschukindustrie (Continental AG). Die einst prosperierende Textilbranche – mechanische Weberei, Wollkämmerei – war hingegen schon vor meiner Geburt verschwunden.
Während meiner Kindheit in den späten 1980ern und frühen 1990ern bekam ich mit, wie viele der noch bestehenden Standorte aufgegeben wurden. Produktionsstätten schlossen, verfielen nach und nach, gerieten zu Zentren der Subkultur. So blühten diese Orte noch ein weiteres Mal auf, ehe man sie schließlich abriss. Dieser Wandel erschien mir damals sehr eindrücklich, vertraute Ecken erkannte ich plötzlich nicht mehr wieder. Daher entstand wohl bereits in diesen frühen Zeiten bei mir der Wunsch, den Lauf der Zeit irgendwie zu stoppen. Das dies nicht gehen würde, war mir auch schon als Kind bewusst. Also wollte ich meine Umgebung wenigstens dokumentieren, sodass ich mich später an die alten Zeiten würde gut erinnern können.
Sprung ins Jahr 2011: Nachdem ich jahrelang mit der Fotografie von Gebäuden und Stadtlandschaften experimentiert hatte, ohne wirklich zufrieden zu sein, bestellte ich mir mein erstes Shift-Objektiv für das Kleinbildformat: Endlich “professionell” Architektur fotografieren! Gleichzeitig gab ich es auf, mit Film zu arbeiten – nachdem ich über so viele Jahre noch daran festgehalten hatte.
Komplizierte Ausrüstung
In der Architekturfotografie gehören Shift-Objektive zu den wichtigsten Hilfsmitteln: Sie erlauben durch ihre Verstellmöglichkeiten eine Perspektivkorrektur. Hohe Gebäude lassen sich dadurch abbilden, ohne dass sie nach hinten umzukippen scheinen – alles erscheint gradlinig, die Linien “stürzen” nicht. Mit den neuen Möglichkeiten war ich zu Beginn vor allem eines: überfordert. Schnell lernte ich, dass es ohne taugliches Stativ und Wasserwaage nicht klappen würde mit einer präzisen Ausrichtung.
Positiver Nebeneffekt der Arbeit mit dem Stativ: Man geht ruhiger zu Werke, arbeitet mit Bedacht. Negativer Nebeneffekt: Man fällt auf. In der Anfangszeit fiel es mir schwer, öffentlich, mitten am Tage, meine Ausrüstung aufzubauen. Besonders, wenn mein Motiv ein eher unauffälliges Wohnhaus oder ein banales Bürogebäude war (Die gibt es in Hannover zu Hauf!), erntete ich oft Unverständnis: etwa in Form eines misstrauischen “Darf man fragen, was Sie da fotografieren?” oder eines drohenden “Haben Sie denn überhaupt eine Genehmigung?”. Ich eignete mir recht zügig die Rechtsgrundlagen an, denn oft wollte jemand lieber gleich die Polizei rufen.
Um in der Lernphase nicht arm zu werden – das meiste lief über Trial-and-Error –, stieg ich auf digital um. Eine gebrauchte Spiegelreflexkamera leistete mir gute Dienste, besonders die sofortige Bildkontrolle erwies sich als enorm hilfreich. Weder gibt es nämlich bei Shift-Objektiven einen Autofokus, noch erlauben diese automatische Belichtungsmessung. Zu Hause angekommen konnte ich meine Fotos gleich aufbereiten und verwenden – ich lud damals viele Bilder zu Wikipedia hoch. Angesichts der vielen neuen Möglichkeiten kam mir Film unflexibel und archaisch vor. Bloß vermisste ich das Gefühl, dass Bilder “einfach richtig aussehen”. So sehr ich auch an meinen digitalen Dateien herumdoktorte, ich kam dem Gefühl bestenfalls nahe.
Rückkehr zum Medium Film
Der nächste Sprung; nun gehen wir ins Jahr 2016: Mittlerweile fühlte ich mich routiniert in meinem Tun und war zu der Überzeugung gekommen, mir bei meiner Architekturfotografie alles erschlossen zu haben. Wie das oft so mit Routinen läuft: Man fühlt sich wohl, man fühlt sich sicher, aber es schleicht sich Langeweile ein. Daher beschloss ich, spaßeshalber wieder einen Film zu belichten – das hatte ich zwar in der Vergangenheit hin und wieder mal gemacht, jedoch nie Gebäude damit fotografiert. Zunächst musste eine geeignete Kamera her, an der ich meine Shift-Objektive verwenden könnte. Die Goldgräberzeiten waren 2016 noch nicht ganz vorüber und ich kam an Canons Flaggschiff der Neunziger – die EOS 1N – für kaum mehr als hundert Euro.
Ebenso viel Spaß wie die Suche nach einer neuen alten Kamera bereitete mir die Auswahl eines passenden Films. Während ich in meinen früheren Zeiten vor allem auf die Eigenmarken-Sparpacks der großen Drogerieketten zurückgriff, entschied ich mich nun für das Markenprodukt: In der Community genoss Kodak Portra einfach einen zu guten Ruf, als dass ich an ihm hätte vorbeikommen können. Außerdem – und noch viel wichtiger – gefiel mir der Look, ja, ich fand ihn geradezu fantastisch. Aus den drei erhältlichen Varianten – ISO 160, 400 und 800 – wählte ich den 160er: feinstes Korn in dieser Reihe, zudem niedrigster Preis. Den Geschwindigkeitsnachteil gegenüber den beiden anderen Typen konnte ich gut verschmerzen, wollte ich doch eh unbewegte Objekte vom Stativ aus aufnehmen.
Prozess und Ergebnisse gefielen mir tatsächlich so gut, dass mein anfängliches Experimentieren schnell in einen Regelbetrieb überging. Es fühlte sich so an, als sei ich einem längeren Ausflug endlich wieder nach Hause gekommen. Bereits wenige Wochen später fotografierte ich Gebäude nur noch auf Film; bei meinen übrigen fotografischen Aktivitäten dauerte es etwa anderthalb Jahre, bis ich auch hier das Thema Digitalfotografie abgehakt hatte.
Unterschiedliche Filme,
unterschiedliche Formate
Wie ich weiter oben schon erwähnte, bedeutet Routine oft auch Langeweile. Nachdem ich zwei Winter über intensiv Architekturfotografie auf Farbfilm betrieben hatte, musste im dritten Jahr etwas Neues her. Wieder erkundete ich mein städtisches Umfeld, wieder griff ich auf meine bewährte Ausrüstung zurück – aber diesmal steckte eine klassische Schwarzweißemulsion im Filmfach meiner Kamera. Seit jeher findet in meinem Kopf ein Streitgespräch statt: Farbe oder Schwarzweiß, Realismus oder Reduziertheit, Zeitgeist oder Zeitlosigkeit – was ist zu bevorzugen? Ich kann die Frage beim besten Willen für mich nicht beantworten; mal tendiere ich zu dem einen Medium und mal zu dem anderen. Das Schöne ist: Ich muss die Frage gar nicht beantworten! Vielmehr gibt mir die Variation einen Grund, noch einmal erneut loszuziehen und bereits bekannte Motive auf eine andere Art und Weise darzustellen.
Im fünften Jahr nach meinem Wiedereinstieg bei Film wagte ich mich erstmals auch in größere Formate vor – zumindest bei der Architekturfotografie wartete ich so lange damit. Allerdings, so ganz stimmt auch das nicht: Ich hatte bloß nie zuvor systematisch Gebäude jenseits von 35mm-Film fotografiert. Derzeit arbeite ich an einer Serie auf Mittelformatfilm im klassischen 6×6-Format. Überrascht hat mich vor allem, wie gut sich das quadratische Bild mit diesen Motiven gestalten lässt – das hätte ich vorher nicht gedacht. Und damit mir auch dieses Projekt nicht zu schnell langweilig wird, experimentiere ich nebenbei mit abgelaufenem Film. Eine Wundertüte: Hier weiß man nie, wie sehr sich das Material im Laufe der Jahre verändert hat. Je nach Alter und Lagerbedingungen ist alles dabei, von subtilen Farbveränderungen bis hin zu völliger Unbrauchbarkeit.
Ausblick
Was kann ich abschließend sagen? Dass wie sonst im Leben nichts perfekt ist und auch in diesem Metier Rückschläge nicht ausbleiben? Dass meine Freude am Medium Film trotzdem ungebrochen ist? Dass sich mir immer wieder neue Nischen auftun, die ich dann eifrig erkunde? Ja, das passt.
Die Motive aus dem Bereich der Architektur werden mich wohl noch lange Zeit auf meinem Weg mit Film begleiten. Zu fasziniert bin ich von dem bisweilen langsamen aber doch steten Wandel, dem meine urbane Umwelt unterliegt. Was die Zukunft auch bringt, es wird immer etwas zu dokumentieren geben.