Luise Hamm
Begegnung und Austausch sind wichtig für Luise und ihren Porträts sieht man diese respektvolle Herangehensweise an. Ihre Arbeiten nehmen uns mit auf eine Reise unterschiedlicher Lebensrealitäten.
Deine Arbeiten zeigen häufig soziale Aspekte. Was ist die Motivation dahinter?
Ich interessiere mich für Menschen, Zusammenhänge und die Erfahrung unterschiedlicher Lebensrealitäten. Die Fotografie ist ein Medium der Auseinandersetzung und ich arbeite zu Themen die mich beschäftigen.
„Ich möchte ergründen und erschließen. Für mich ist Fotografie ebenso viel Frage wie Antwort – sie ist Kommunikation. Angezogen von Nebenschauplätzen ist es für mich nur interessant Geschichten zu erzählen, die erzählt werden wollen. Zu fotografieren ist wie eine Bühne zu eröffnen, die dazu einlädt bespielt zu werden.“
Aufmerksamkeit und Achtung sind elementar. Das Untersuchen und Darstellen anderer Lebensrealitäten birgt Gefahren und seit ihren Anfängen hat die Fotografie darin eine besondere und sehr kritisch zu betrachtende Rolle: Denn durch die realitätsnahe Darstellung prägt Fotografie maßgeblich unsere Vorstellung von Realität. Fotograf*innen haben deshalb eine sehr große Verantwortung. Wer fotografiert wen und was für ein Narrativ wird erzählt? Gleichzeitig birgt das Medium ein großes Potential: Begegnung und Austausch.
Warum fotografierst du analog in einer digitalen Zeit?
Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit, übersättigt und visuell beansprucht. Als Bildschaffende erscheint mir Präzision und das Innehalten die einzig sinnvolle Reaktion darauf. „Wir brauchen nicht mehr Produkte, wir brauchen Ideen“. Dieser Satz fiel vor kurzem in einem Gespräch zum Thema Produktdesign, doch auch auf die Fotografie trifft dies gleichermaßen zu. Das ist zwar noch kein schlagendes Argument, da sich in Theorie digital natürlich ebenso präzise und gezielt fotografieren lässt wie analog. Und es gibt auch Situationen, in denen ich nicht leugnen will, dass es viele Argumente gibt digital zu fotografieren.
Der wichtigste Punkt für mich ist, dass ein Bild mehr ist als der Lichteinfall auf einem Sensor oder einem Negativ. Es ist das Resultat einer Begegnung, einer Auseinandersetzung. Bei zwischenmenschlichen Begegnungen ist mir der Unterschied zwischen analog und digital am deutlichsten. Die Unmittelbarkeit der digitalen Fotografie ist ihr Vor- und Nachteil. Die Erfahrung zeigt, dass sowohl ich mich als fotografierende, als auch die zu fotografierende oder fotografierte Person sich anders verhält, wenn das Bild unmittelbar sichtbar ist. Man kommt nicht umhin, das Bild mit Erwartungen und Selbstvorstellung in Vergleich zu setzen. Das kann extrem ablenkend und störend sein.
„Wenn ich analog fotografiere, existiert der Moment nur als Moment und das Bild nur als Bild. Nach meinem Empfinden, das was beidem entspricht.“
Hast du eine Lieblingskamera und einen Lieblingsfilm?
Die Frage scheint mir leichter gestellt als beantwortet, da unterschiedliche Aufgabenstellungen unterschiedlicher Lösungsansätze bedürfen. Vor zwölf Jahren habe ich zuhause die alte Minolta x-700 von meiner Mutter gefunden. Völlig unbefangen hat sie mich von diesem Zeitpunkt an überall hin begleitet, tags und nachts. Es sind tolle Bilder entstanden und die Kamera ist mir sehr ans Herz gewachsen, nicht wegen der technischen Besonderheiten, sondern vielmehr wegen der Welt, die sich mir durch sie eröffnet hat. Die Frage, ob ich die Kamera mitnehme oder nicht, hat sich mir nicht gestellt. In meiner Ausbildung am Lette-Verein Berlin wurde die Kamera dann für unzureichend befunden. Ich weiß warum und es bringt mich zum Lachen. Super erste Kamera, ich habe sie immer noch und auch immer noch sehr gern.
Seit 2018 fotografiere ich nun mit einer Mamiya 7 II und habe damit seitdem die meisten meiner Projekte umgesetzt. Es ist eine fantastische Kamera! Auch mit einem größeren Negativformat ermöglicht die Kamera ein sehr flexibles Arbeiten und man ist kaum eingeschränkt durch Größe oder Gewicht. Ich fotografiere gezielter und arbeite konzentrierter. Immer wieder bin ich selbst überrascht von der Feinheit und der Detailtreue der entstandenen Aufnahmen. Große Abzüge zu erstellen ist eine wahre Freude!
Fuji Pro 400.
Was inspiriert dich?
Leben und Erfahrung hätte ich vor einem Jahr sicher gesagt. Da die Kamera für mich ein Kommunikationsmedium ist, entstehen Bilder, wenn ich als Person stimuliert und gefordert bin, wenn mein Umfeld Fragen aufwirft, die es für mich gilt zu ergründen. Impulse. Das ist auch nach wie vor der Fall, aber im Laufe der anhaltenden Pandemie hat sich im Hinblick dessen einiges verschoben. In meiner aktuellen Arbeit verfolge ich eine für mich neue und ganz andere Herangehensweise, die sich zwar auch auf meine persönlichen Erfahrungen beruft, aber stark von meiner theoretischen Auseinandersetzung in dieser Zeit inspiriert und beeinflusst ist. Wie wahrscheinlich viele, habe ich noch nie so viel Zeit Zuhause verbracht wie in den letzten anderthalb Jahren. Folglich sind es Artikel, Bücher, Filme und Gespräche, die mich gedanklich herausfordern, die Augen öffnen, Interesse wecken und ein tieferes Verständnis für Zusammenhänge eröffnen.
Hast du eine Routine, die dich beim fotografieren begleitet?
Ich lasse mich gerne treiben. Motiviert durch eine Idee, eine offene Frage, ein Wort oder einen Ort, der mich interessiert, eine Stimmung… In der Regel weiß ich zu Beginn einer Arbeit nicht was mich erwartet und es gilt, sich genau darauf einzulassen: nicht zu wissen. Die meisten meiner Bilder hätte nicht planen können, weil sie das Resultat von für mich unvorhersehbaren Momenten, Situationen und Begegnungen sind.
„Ganz im Gegenteil mache ich die Erfahrung, dass ich, wenn ich mich zu sehr an einer bestimmten Vorstellung festhalte, blockiere, da ich weniger flexibel bin mich auf das einzulassen was ich vorfinde.”
Häufig eröffnet sich mir erst im Laufe einer Arbeit was es genau ist, was ich verfolge. Ich schätze diese Arbeitsweise mit allen Überraschungen und Unberechenbarkeiten, die sie in sich birgt – aber sie verlangt einem auch viel ab. Es ist verbunden mit sehr intensiven Arbeitsperioden und mühsamen Durststrecken. Man braucht Zeit und Vertrauen.