Mirjam Wählen
Wir lieben die Arbeiten von Mirjam Wählen. Einmal wegen ihrer herausragenden Qualität, aber auch wegen ihrer „subtilen“ Botschaft. Ein Statement gegen Stigmatisierung, Stereotype und Geschlechterrollen.
Gab es einen besonderen Moment, der dich zur Fotografie gebracht hat?
Eigentlich nicht. Mein Vater hat früher sehr viel und gut fotografiert, das hat mich fasziniert. Zu den Lieblingsbeschäftigungen in meiner frühen Kindheit gehörte ein wöchentlicher Besuch in der Malschule die zur Neuen Galerie – Sammlung Ludwig (heutiges Ludwig Forum) in Aachen gehörte. Bei den regelmäßigen Besuchen in der Neuen Galerie haben mich Douan Hanson’s „Supermarkt Lady“ und Alan Jone’s „Hatstand, Table and Chair“ sehr beeindruckt. Mein erstes künstlerisches Interesse galt also eher der modernen Skulpturkunst und ich dachte lange, dass ich gerne Kunstgeschichte studieren würde. In meiner Jugend habe ich dann begonnen Porträts von meinen Freunden zu fotografieren und mir viele Magazine angeschaut wie ID, the Face und Max. Ich war fasziniert davon was mit mir geschieht, wenn ich Menschen fotografiere. Dieses Gefühl, dass ich auch meine Emotionen über eine andere Person ausdrücken kann und das hat mich nicht mehr losgelassen. Nach meinem Abitur bin ich nach Paris gezogen und dort nahmen die Dinge dann ihren Lauf, aber es gab keinen Schlüsselmoment der mich direkt zur Fotografie gebracht hat.
Man hat das Gefühl, die Menschen auf deinen Fotografien kennenzulernen. Was macht deine Portraits so speziell?
Beim Fotografieren bin ich eher zurückhaltend und sensibel und versuche den Porträtierten ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Nicht alle Personen sind es gewohnt im Rampenlicht zu stehen und ich möchte jedem den Raum geben, sich auch in seiner Verletzlichkeit und Unsicherheit zu zeigen. Eine Plattform bieten, auch für Menschen die vielleicht auf den ersten Blick nicht sofort wahrgenommen werden, weil sie eher introvertiert sind oder nicht dem stereotypen Schönheitsideal entsprechen. Die Suche nach Zerbrechlichkeit und Schönheit im nicht perfekten Sinne treibt mich an und mir ist es wichtig, auch diese Formen von Schönheit und Stärke zu zeigen.
„Jeder Mensch ist schön, mit seinen Ecken und Kanten. Nichts langweilt mich mehr, als perfekt inszenierte und retuschierte Bilder. In meiner Fotografie versuche ich deshalb die entrückteren und fragileren Momente festzuhalten, die eben diese Verletzlichkeit zeigen.“
Durch eine ehrliche Verbindung mit dem Subjekt können sehr authentische Momente entstehen. Ich versuche, dass sich die Menschen von mir, in dem Moment in dem ich auslöse, mit all ihren Gefühlen wahrgenommen fühlen. Vielleicht spiegelt sich das in meinen Fotos, das wäre sehr schön.
Deine Bilder sind auch immer ein Statement zu den Themen Kultur, Politik und Rollenbild. Hast du eine Botschaft, die du mit uns teilen willst?
Rassismus und Sexismus sind Themen die mich seit meiner Kindheit beschäftigen und mit denen ich mich intensiv auseinandersetze. Stigmatisierung, Stereotype, Geschlechterrollen. Meine Bilder haben häufig eine subtile Botschaft, die man vielleicht nicht sofort auf den ersten Blick erkennt.
Nicht alle Menschen kommen mit den gleichen Chancen zur Welt. Meine Intention auch in meiner Arbeit ist, die Betrachter anzuregen die Welt emphatischer zu sehen, sich von Stereotypen zu verabschieden und den Blickwinkel zu verändern. Wenn man aus einem privilegierten Milieu kommt, hat man eine Verantwortung sich für Menschen einzusetzen, die es aufgrund ihres Backgrounds nicht so leicht haben. Es ist für viele weiße Cisgender sehr unbequem sich diese privilegierte Position einzugestehen und aufzugeben. Es reicht nicht kein Rassist zu sein, sondern man muss ein Antirassist sein. Genauso verhält es sich mit Misogynie. Unsere Gesellschaft ist so daran gewöhnt Frauen zu verachten. In meiner Generation gibt es noch zu viele Menschen, die Feminismus fehlinterpretieren. Es ist noch nicht angekommen, dass die Dekonstruktion des patriarchalen Systems eine Verbesserung der Lebensqualität für alle Menschen bedeuten würde. Einer Statistik der New York Times nach, liegt die Frauenquote unter den professionellen Fotograf*innen bei nur 9%. Seit mehr als 20 Jahren kämpfe ich nun gegen die Diskriminierung in diesem Business.
„Um irgendwann in einer gerechteren Welt leben zu können sollte jeder seinen Beitrag leisten. Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexuelle Orientierung dürfen keine Rolle spielen. Das Streben nach Gleichberechtigung und intersektionaler Solidarität ist wichtig und zur Zeit sind wir leider noch weit davon entfernt.“
Du fotografierst überwiegend analog. Welchen Einfluss hat die Technik auf deine Arbeit?
Meine Ausbildung habe ich komplett analog absolviert.
Ich habe mich viel mit Technik beschäftigt, wir haben die unterschiedlichsten Kamerasysteme und Printtechniken gelernt. Meine Erfahrungen in der Studiofotografie sind inzwischen sehr umfangreich und ich weiß, wie man Technik einsetzen kann. Es gab eine Zeit, in der ich fast nur noch digital fotografiert habe, weil die Entwicklung es forderte. Das hat mich irgendwann sehr unzufrieden gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass sich niemand am Set mehr so richtig auf den Moment konzentriert und schnell eine große Unsicherheit bei allen entsteht.
Seit einigen Jahren fotografiere ich wieder fast ausschließlich anlog und bei meinen persönlichen Projekten bevorzuge ich den minimalen Einsatz von Equipment.
Die Kombination von analoger Fotografie, Routine und Erfahrung erlaubt es mir, mich völlig auf den Moment zu fokussieren, etwas mehr Kontrolle abzugeben und dadurch die fragileren Momente und deren Flüchtigkeit einfangen zu können.
„Details die andere als Störfaktor in meinen Bildern sehen sind beabsichtigt.“
Hast du eine Lieblingskamera oder Film?
In den letzten Jahren habe ich mir angewöhnt mit einem Konvolut von Kameras zu arbeiten. Da ich gerne mit Wiederholungen spiele, aber den Betrachter anregen möchte die Perspektive zu wechseln, schien mir das ein geeignetes Stilmittel zu sein. Ich wechsle zwischen einer Contax G1, Yashica T4, Contax T2, Canon Eos 1N, einer Olympus Mju II und einer alten Contax RTS, die ich von meinem Vater geerbt habe. Wobei natürlich nicht immer alle Kameras zum Einsatz kommen. Meine absolute Lieblingskamera ist die Canon Eos 1N. Mit dieser Kamera habe ich Fotografieren gelernt und daran hängt mein Herz.
Während meines Studiums habe ich alle damals verfügbaren Filme getestet und bin Fan von Kodak. Je nachdem welchen Look ich erzielen möchte, fotografiere ich entweder auf Kodak Portra oder Kodak Gold. Bei SW-Filmen bevorzuge ich Kodak T-Max und Kodak Tri-x.
Wer oder was inspiriert dich?
Inspiration für mich sind Begegnungen und Reisen. Ich liebe es Menschen, Landschaften und Kulturen zu studieren und mich in Gesprächen zu den unterschiedlichsten Themen auszutauschen. Bei meinen Reisen unterhalte ich mich wirklich mit jedem der an einem respektvollen Austausch interessiert ist und versuche herauszufinden, was die Menschen beschäftigt und antreibt. Das faszinierendste an meinem Job ist die Möglichkeit Einblicke in die unterschiedlichen Milieus zu erhalten und das ist eine unglaubliche Bereicherung. Ich lerne ständig dazu und versuche meine eigene Sichtweise immer wieder zu hinterfragen und auch zu verändern. Musik ist mein ganz persönlicher Motor und hilft mir meine Gefühle zu verarbeiten. Filme, Bücher und Ausstellungen gehören natürlich auch zu meinen Inspirationsquellen.